30 Jahre Palliativversorgung in Herne: „Jetzt geht es erst richtig los!“

Fachtag im EvK Herne fordert Paradigmenwechsel: Frühestmögliche Integration der Palliativmedizin in die Akutmedizin – Konzepte für den Umgang mit Todeswünschen entwickeln

Herne, im Juli 2022. 30 Jahre Palliativ- und Hospizarbeit in Herne: Dieses Jubiläum nahm der Herner Palliativtag im EvK Herne Ende Juni zum Anlass für einen Blick in die Zukunft. „30 Jahre sind kein Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen“, erklärte der Palliativmediziner Prof. Dr. Friedemann Nauck aus Göttingen in seinem Eröffnungsvortrag: „Jetzt geht es erst richtig los.“ Dass die Stadt auf gutem Kurs sei, belege die gemeinschaftliche Planung der Gesundheitsversorgung von Notfallpatienten am Ende des Lebens und das lokale Palliativ-Netzwerk Herne, Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel mit mehr als 30 Mitgliedsorganisationen.

80 Gäste aus Medizin, Pflege, Therapie und Ehrenamt erlebten einen Palliativtag, der die großen Themen der Palliativmedizin in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang stellte. Das deutsche Gesundheitssystem sei auf die Versorgung von Patient*innen im letzten Lebensjahr nicht vorbereitet, betonte Prof. Dr. Raymond Voltz vom Zentrum für Palliativmedizin der Uniklinik Köln. Es gebe 1.500 Akutkrankenhäuser, aber nur 360 Palliativstationen und 260 stationäre Hospize. Voltz: „Wer in dieser Situation auf einer Insel der Palliativmedizin landet, hat Glück gehabt.“

Zusammenarbeit der Fachdisziplinen fördern
Es sei an der Zeit, einen Paradigmenwechsel in der Palliativmedizin einzuleiten, sagte Friedemann Nauck. Er forderte eine frühestmögliche Integration der Palliativmedizin („early integration“) in die Akutversorgung. Nur dann könne eine umfassende und bestmögliche Versorgung von lebensbedrohlich Erkrankten gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang gelte es, die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachdisziplinen zu fördern, damit die Palliativmediziner vor Ort mit den kurativ tätigen leichter in den Austausch kommen.

Auf Todeswünsche angemessen reagieren
Intensiv widmete sich der Palliativtag dem Thema „Umgang mit Todeswünschen“. Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das im Februar 2020 Menschen mit Todeswünschen ein Recht auf assistierten Suizid eingeräumt hat, wenn diese Entscheidung frei verantwortet, dauerhaft und autonom getroffen wurde. „Es ist nicht Aufgabe der palliativen und hospizlichen Arbeit, Suizidassistenz zu leisten“, betonte Voltz in seinem Vortrag. Es sei aber geradezu eine Pflicht der dort Tätigen, Menschen mit Todeswünschen stationär aufzunehmen oder ambulant zu begleiten, ihnen mit Toleranz zu begegnen und ihre Beweggründe in einem ergebnisoffenen, einfühlsamen Dialog zu erkunden. Voltz: „Wir müssen hören, was der Patient sagt.“ Es sei höchste Zeit, dass sich die Palliativ- und Hospizbewegung zu diesem wichtigen Thema positioniere, die Mitarbeitenden qualifiziere und Strukturen schaffe, die alle Beteiligten unterstützen.

Aufbau einer „Caring Community“
Ergänzt wurden die Vorträge durch Podiumsdiskussionen, in denen die Referenten und lokale Akteure der Hospiz- und Palliativversorgung mit den Workshop-Teilnehmern in einen angeregten Dialog traten. „Die Zukunft der Palliativmedizin liegt im Aufbau einer Caring Community. Dabei handelt es sich um ein breit angelegtes Netzwerk aus klinischen, ambulanten, professionellen, ehrenamtlichen und bürgerschaftlichen Strukturen, um die Menschen in unserer Stadt im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer zu stärken und ihre Kompetenzen zu fördern,“ zog Dr. Katja Vogelsang, Ärztliche Leiterin des Palliativzentrums im EvK Herne und Organisatorin des Tages, ihr Fazit der Veranstaltung. Das Jubiläum zum 30-jährigen Bestehen der Palliativstation im EvK Herne und zum 25-jährigen Bestehen des Ambulanten Hospizdienstes sei Ausdruck der langen Tradition, die die hospizliche und palliative Versorgung in dieser Stadt habe. Vogelsang: „In Zukunft wollen wir uns für eine noch bessere Vernetzung der Akteur*innen engagieren und die Erreichbarkeit der Angebote für die Betroffenen erleichtern. Dazu hat der Herner Palliativtag 2022 wichtige Impulse gegeben.“

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